Eine Umfrage offenbarte in 2019 ein erstaunliches Unwissen der Deutschen zu Pflegekosten: Rund 43 Prozent der Deutschen glauben tatsächlich, die gesetzliche Pflegeversicherung würde die Kosten für einen vollstationären Pflegeplatz in voller Höhe übernehmen. Das aber ist ein tückischer Irrtum. Denn die Pflegeversicherung ist seit ihrer Einführung in 1995 nur als ergänzende „Teilkasko“ angelegt, weswegen Pflegebedürftige für einen großen Teil der Kosten selber aufkommen müssen.
Doch damit nicht genug! Die Kosten für Pflege und Heimunterbringung bedrohen auch die Familie, da Kinder auch für Eltern unterhaltspflichtig sind. Und wie ein aktuelles Urteil des Oberlandesgerichts Celle zeigt, können sogar Sparkonten der Enkel für Pflegekosten herangezogen werden, falls die Rente der Großeltern nicht für die Heimunterbringung ausreicht. Das Urteil sollte eine wichtige Mahnung sein, sich um privaten Versicherungsschutz zu bemühen.
Elternunterhalt für Pflege: Kinder haften für die Eltern
In Sachen Pflege gilt in Deutschland der Grundsatz, dass Kinder auch für ihre Eltern haften. Zwar: Reicht das Geld des Pflegebedürftigen und der gesetzlichen Sozialversicherung nicht aus, springt zunächst das zuständige Sozialamt ein. Jedoch macht das Sozialamt anschließend Angehörige ausfindig, die für den Unterhalt des Betroffenen einstehen müssen: in der Regel Ehepartner und Kinder.
Ab einem Bruttoeinkommen von mehr als 100.000 Euro jährlich greifen die Sozialämter dann ordentlich zu: Geschützt ist nur ein bestimmter Eigenbetrag – als Richtwert gilt aktuell laut Düsseldorfer Tabelle eine Einkommensgrenze von 24.000 Euro netto jährlich für Alleinstehende und 43.200 Euro netto jährlich für zusammenlebende Ehegatten. Was allerdings darüber liegt, muss hälftig für den Elternunterhalt abgetreten werden.
Pflegekosten gelten als Armutsrisiko
Viele Familien sind durch die Pflegekosten überfordert. Nicht von ungefähr. Im bundesweiten Durchschnitt zahlen Pflegebedürftige derzeit schon 1.940 Euro im Monat für einen Pflegeheimplatz. Der Betrag setzt sich zusammen aus durchschnittlich 731 Euro monatlich als Eigenanteil für die Pflege, durchschnittlich 756 Euro im Monat für Unterkunft und Verpflegung sowie durchschnittlich 453 Euro im Monat für Investitionskosten des Heims, etwa Renovierung und neue medizinische Geräte. Sozialverbände wie Deutschlands größer Sozialverband VdK warnen deswegen vor einem hohen Armutsrisiko durch immer höher werdende Kosten bei Pflegebedürftigkeit.
OLG Celle: Sozialamt darf Pflegekosten der Großmutter vom Sparkonto der Enkel wiederholen
Wie ein Urteil des Oberlandesgerichts (OLG) Celle nun zeigt, sind sogar die Sparkonten der Enkel bei Pflegebedürftigkeit in Gefahr (Az. 6 U 76/19). Eine Rentnerin hatte sich von ihrer geringen Rente jahrelang etwas für die Enkel abgespart, legte hierfür zwei Sparkonten auf die Namen der Enkel an. Diese Konten bediente die Seniorin mit je 50 Euro im Monat für immerhin elf und neun Jahre. Als die Frau aber pflegebedürftig wurde und in ein Pflegeheim ziehen musste, reichte ihre Rente in Höhe von 1.250 Euro nicht mehr aus, um die hohen Eigenanteile für die stationäre Unterbringung im Pflegeheim zu zahlen.
Sozialleistungen in Höhe von insgesamt 25.041 Euro musste aus diesem Grund das zuständige Sozialamt zuschießen. Jedoch: Das Sozialamt wollte sich sein Geld von den Angehörigen wiederholen, forderte deswegen 6.000 Euro vom Sparkonto des ersten Enkels und 5.850 vom Sparkonto des zweiten Enkels zurück. Und mit dieser Forderung erhielt das Sozialamt nun vor dem Oberlandesgericht Celle recht: Regelmäßige Zahlungen an Familienangehörige können tatsächlich durch das Sozialamt eingefordert werden, sobald die Schenkenden selbst bedürftig sind.
Ausnahme: Anstandsschenkungen dürfen nicht zurückgefordert werden
Denn Schenkungen liegen gemäß Bürgerlichem Gesetzbuch (BGB) der Rückforderung und dem Widerruf, wenn Schenkende bedürftig werden. Eine Ausnahme gilt nur für Pflicht- und Anstandsschenkungen. Anstandsschenkungen aber sind „gebräuchliche Gelegenheitsgeschenke des täglichen Lebens“ sowie „kleinere Zuwendungen“. Auch Taschengeld fällt darunter, das Kindern und Enkeln zum Verbrauch gegeben wird – solche Schenkungen hätten die Enkel behalten dürfen.
Bei langjährigen Sparkonten aber handelt es sich laut Oberlandesgericht um Zahlungen, die dem Kapitalaufbau dienen – in diesem Fall als finanzielles Polster für die Enkel. Und der jährliche Wert der Zahlungen hätte, gemessen an den finanziellen Verhältnissen der Großmutter, den Wert von Gelegenheitsgeschenken übertroffen. So gesehen hat die Großmutter über ihre Verhältnisse „geschenkt“.
Dass die Großmutter beim Anlegen der Sparkonten noch nicht von ihrer späteren Pflegebedürftigkeit wissen konnte, spielt hierbei laut Gericht keine Rolle – die Familie musste die Gelder auf den Sparkonten nun trotzdem herauszugeben. Und mehr noch: Auch die Kosten des Rechtsstreits gehen nun zulasten der Enkel und zulasten der Familie. Somit hat die Sparerin nicht erreicht, was sie erreichen wollte: Die finanzielle Absicherung der Enkel. Ihr mühsame Sparen war aus dieser Sicht vergebens – durch die Pflegekosten wurde das Geld anders aufgebraucht.
Privater Schutz bei Pflegebedürftigkeit sichert auch Erspartes der Nachkommen
Das Urteil sollte also Warnung sein für alle, die für die Nachfahren sparen und diese dadurch absichern wollen: Zusätzlich zum Sparen ist privater Versicherungsschutz gegen Kosten der Pflegebedürftigkeit dringend geboten. Denn nur dieser private Versicherungsschutz sichert zugleich, dass Kinder und Enkel nicht durch Elternunterhalt belastet werden und sichert zudem das Ersparte für Nachkommen vor dem Sozialamt. Wer hierzu Rat sucht, der sollte sich dringend an eine Expertin oder an einen Experten wenden.